Die Regierung Hongkongs hat ein neues Sicherheitsgesetz verabschiedet, welches auch als “Artikel 23 Gesetz” bekannt ist. Mit diesem Gesetz werden die Menschenrechte in der Stadt in einem erheblichen Maß untergraben. Hier sind 10 wichtige Fakten zum Gesetz (es gibt auch eine englische Version):
1. Es dauerte ein Vierteljahrhundert, bis das Gesetz realisiert wurde
Als Hongkong 1997 vom Vereinigten Königreich an die VR China übergeben wurde, gaben die Regierungen beider Länder der Stadt eine eigene Mini-Verfassung, das sogenannte Basic Law. Artikel 23 des Basic Laws sieht vor, dass Hongkong „selbst Gesetze erlassen“ soll, um sieben Straftatbestände zu sanktionieren, die die nationale Sicherheit betreffen. Aber ein solches Gesetz wurde lange nicht verabschiedet. Ein früherer Versuch, den Artikel 23 im Jahr 2003 umzusetzen, wurde nach friedlichen Massenprotesten verworfen.
Diesmal wurden Proteste durch andere repressive Gesetze, einschließlich des Nationalen Sicherheitsgesetzes (NSL) von 2020, von vorneherein eingeschränkt. Somit konnten die Behörden das Sicherheitsgesetz (offiziell: „Safeguarding National Security Ordinance“ oder „Schutzverordnung zur Wahrung der nationalen Sicherheit“) rasch verabschieden. Es gibt Überschneidungen mit dem NSL. Mit dem neuen Gesetz werden aber auch neue Straftatbestände eingeführt, die Strafen für bestehende Straftatbestände erhöht und der Regierung noch weitreichendere Durchsetzungsbefugnisse verliehen.
2. Chinas Definition von „nationaler Sicherheit“ und „Staatsgeheimnissen“ ist nun in Hongkong Gesetz
Das neue Gesetz übernimmt die Definition von „nationaler Sicherheit“ vom chinesischen Festland, wo es sich um ein vages Konzept handelt, das „wichtige Interessen des Staates“ abdeckt. In der Praxis bedeutet das im Grunde alles.
Das Gesetz übernimmt auch die Definition von „Staatsgeheimnissen“ aus dem Rechtssystem des Festlands. Diese ist äußerst weit gefasst und kann auf alle wirtschaftlichen, sozialen, technologischen oder wissenschaftlichen Entwicklungen bezogen werden, auch wenn diese nie offiziell als Geheimnisse eingestuft wurden. Darüber hinaus hat der Chief Executive, der Hongkonger Regierungschef, die Befugnis zu bestätigen, ob es sich bei den Unterlagen oder Informationen um Staatsgeheimnisse handelt. Also noch einmal: In der Praxis könnte so ziemlich alles als „Staatsgeheimnis“ gelten.
3. Der Umgang mit Ausländern ist gefährlicher
Das neue Sicherheitsgesetz führt den neuen Straftatbestand der „externen Einmischung“ ein, der auf die Zusammenarbeit zwischen einer Person und „externen Kräften“ abzielt und mit einer Höchststrafe von 14 Jahren geahndet werden kann. Die Details sind wiederum äußerst vage: Das Gesetz sieht lediglich vor, dass die Zusammenarbeit mit der „externen Kraft“ in „rechtswidriger Absicht“ und mit „unangemessenen Mitteln“ erfolgt.
Das Gesetz erweitert auch den Straftatbestand der Spionage. Sie könnten nun mit einer möglichen Haftstrafe von zehn Jahren angeklagt werden, wenn Sie mit einer „externen Kraft“ zusammenarbeiten, um eine falsche oder irreführende Aussage zu veröffentlichen.
Was genau sind also „äußere Kräfte“? Gemäß dem Sicherheitsgesetz kann es sich dabei um ausländische Regierungen, ausländische politische Parteien, internationale Organisationen, ausländische Organisationen, die politische Ziele verfolgen, oder mit diesen Einrichtungen verbundene Organisationen oder Einzelpersonen handeln.
Es ist wahrscheinlich, dass das Gesetz dazu verwendet wird, legitime Zusammenarbeit zwischen Einwohnern oder Gruppen Hongkongs mit ausländischen Institutionen – beispielsweise in der Wirtschaft, der Wissenschaft, der Zivilgesellschaft oder sogar den Vereinten Nationen – mit kriminellen Aktivitäten zu vermischen. Auch ausländische Staatsbürger können strafrechtlich verfolgt werden, wenn sie diese „Verbrechen“ in Hongkong begehen.
4. Bis zu 10 Jahre Gefängnis wegen Kritik an der Regierung
2009 hatte die britische Regierung das Gesetz gegen Aufruhr in Großbritannien abgeschafft. Der damalige Justizminister nannte es ein „arkanes Gesetz aus einer vergangenen Ära“. Die Regierung Hongkongs hat dagegen vor Kurzem ein 50 Jahre inaktives Gesetz gegen Aufruhr aus der Kolonialzeit wieder aktiviert. Diese Herangehensweise könnte aufgrund von Artikel 23 noch öfters zu beobachten sein.
Das neue Gesetz erweitert den Anwendungsbereich des Gesetzes gegen Aufruhr und erhöht die maximale Gefängnisstrafe von zwei Jahren auf sieben Jahre (oder zehn Jahre, wenn eine „externe Kraft“ im Spiel ist). Das Gesetz legt ausdrücklich fest, dass die Absicht, zu Gewalt aufzustacheln, nicht erforderlich ist, um eine Person wegen Aufwiegelung zum Aufruhr zu verurteilen, was im Widerspruch zum Grundsatz des Common Law steht, dass Äußerungen, die nicht zur Gewalt aufstacheln, nicht nach dem Gesetz bestraft werden sollten. Dies bedeutet, dass der Straftatbestand möglicherweise jegliche Kritik an der Regierung Hongkongs oder Chinas umfasst.
5. Sie könnten mit einer Gefängnisstrafe rechnen, wenn Sie andere nicht melden
Dieses neue nationale Sicherheitsgesetz verpflichtet alle chinesischen Staatsbürger (darunter die meisten Hongkonger), die Polizei zu benachrichtigen, wenn dieser Kenntnis davon hat, dass eine andere Person Hochverrat begangen hat oder im Begriff ist, ihn zu begehen. Zuwiderhandlungen werden mit bis zu 14 Jahren Gefängnis bestraft.
Damit wird den Menschen in Hongkong faktisch die Pflicht auferlegt, ihre Mitbewohner auszuspionieren. Dies wird wahrscheinlich das bestehende Klima der Angst unter den Hongkongern verstärken und sie daran hindern, ihre Meinung innerhalb ihrer Gemeinschaften und sozialen Gruppen frei zu äußern.
6. Mehr Befugnisse für die Polizei, weniger gesetzliche Rechte für Häftlinge
Das neue Gesetz räumt der Polizei weitreichende neue Befugnisse bei der Bearbeitung von Fällen der nationalen Sicherheit ein. Mit Genehmigung des Richters können sie jemanden bis zu 16 Tage lang festhalten, ohne Anklage zu erheben (vorher waren es zwei Tage). Sie können der Person auch verbieten, in den ersten 48 Stunden nach ihrer Festnahme einen Anwalt oder während der Haft einen von ihnen ausgewählten Anwalt zu konsultieren.
7. Hongkongs Regierungschefs können selbst neue Gesetze erlassen
Nach dem neuen Gesetz kann der Regierungschef im Namen der „Gewährleistung der nationalen Sicherheit“ jederzeit aus eigener Initiative nachgeordnete Rechtsvorschriften erlassen. Solche nachgeordneten Rechtsvorschriften können sofort in Kraft treten und Freiheitsstrafen bis zu sieben Jahren vorsehen.
Theoretisch sollten nachgeordnete Rechtsvorschriften nicht über den Anwendungsbereich des Sicherheitsgesetzes hinausgehen, doch die vagen und weiten Formulierungen des Gesetzes bieten viel Spielraum dafür, willkürlich Gesetze zu erlassen.
8. Neue Befugnisse gegen Hongkonger im Ausland
Um die Diaspora-Gemeinschaft und Aktivisten, die ins Ausland gezogen sind, ins Visier zu nehmen, verleiht das Gesetz der Regierung neue Befugnisse zur Bestrafung von „Flüchtigen“, denen die Begehung von Verstößen gegen die nationale Sicherheit vorgeworfen, auch wenn sie noch nicht für schuldig befunden wurden. Die Regierung kann nun Maßnahmen wie die Annullierung von Pässen von Hongkonger oder die Aussetzung ihrer Berufsqualifikationen (z. B. Anwaltslizenzen) ergreifen.
9. Vager Straftatbestand gegen neue Technologien
Das Gesetz führt einen neuen Straftatbestand für „Handlungen, die die nationale Sicherheit im Zusammenhang mit Computern oder elektronischen Systemen gefährden“ ein – mit einer potenziellen Freiheitsstrafe von 20 Jahren und extraterritorialer Wirkung für jeden auf der Welt. Das Gesetz definiert diese „Handlungen“ jedoch nicht. Die Regierung verwies während der Konsultationsphase lediglich auf die „rasante Entwicklung von Technologien“ und mögliche Hackerangriffe. Dieser Mangel an rechtlicher Klarheit und die zu weit gefasste Definition machen diesen Straftatbestand eindeutig anfällig für willkürlichen Missbrauch.
10. Das Gesetz wurde in einem oppositionsfreien Hongkong erlassen
Die Umsetzung von Artikel 23 des Basic Law war aufgrund seiner Einschränkungen der Menschenrechte schon immer ein umstrittenes Thema. Im Jahr 2003 musste die Regierung ihre Pläne zur Verabschiedung des Gesetzes zurückstellen, als 500.000 Menschen dagegen demonstrierten.
Aber Hongkong im Jahr 2024 ist ein ganz anderer Ort. Das 2020 verabschiedete NSL hat die Stimmen der Opposition fast vollständig zum Schweigen gebracht. Viele Aktivisten, Journalisten und Oppositionspolitiker wurden festgenommen, andere sind geflohen. Friedliche Versammlungen, die sich der Regierungspolitik widersetzen, sind jetzt entweder verboten oder stark eingeschränkt.
Vor diesem Hintergrund konnte die Regierung schließlich das Gesetz nach Artikel 23 verabschieden, weil sie wusste, dass ihre Gegner zu machtlos wären, um es zu stoppen.